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USA Teil 4 (23.08.2011 - 14.09.2011)

veröffentlicht um 14.09.2011, 13:26 von Tobias Pieper   [ aktualisiert: 07.11.2011, 09:22 ]
Riggins, Idaho bis Torrington, Wyoming

Nun ist es schon Mitte September und heute haben wir so richtiges Herbstwetter. Aus dem Nichts gab es einen Temperatursturz, es ist regnerisch grau in grau und windig. Gut, dass wir heute nicht auf unseren Raedern sitzten, sondern pausieren und somit einfach Zeit vor dem Computer verbingen. Wir sind in einer Universitaet, was eine ganz besondere Atmosphaere ist.  
Wenn ich auf das Datum Blicke, ueber welchen Zeitraum ich nun berichten moechte, bekomme ich doch fast einen Schreck, so viel Zeit liegt dazwischen und ich muss erst einmal in mich gehen, um zurueckzudenken, was alles so geschehen ist.
Ueber den gesamten Zeitraum hinweg, sind wir mit zwei Bruedern aus North Carolina geradelt, die die USA von Oregon nach Virginia durchqueren wollen. Da unsere Route ab Riggins fuer einen gewissen Abschnitt die selbe war, fuhren wir mit Donnie und Taylor gemeinsam weiter.
Es war eine willkommene Abwechslung und brachte frischen Wind in unseren Radelalltag. Wir aenderten auch nichts an unserer bisherigen Reiseart und fragten auch zu viert bei Leuten, ob wir bei ihnen zelten duerften. Ich war schon etwas skeptisch, ob dies nun noch funktionieren wuerde, denn es ist doch ein Unterschied, ob man zu zweit oder zu viert auftaucht und ein Zelt oder drei Zelte aufstellen moechte. Aber wir wurden sehr ueberrascht. Auch das war nun kein Problem. Wir wurden genauso herzlich empfangen und sogar zum Hamburgeressen eingladen.
Unsere erste Etappe fuehrte uns aus dem Staat Idahoe nach Missoula in Montana. Es war eine tolle Strecke durch bewaldete Region, an einem Fluss entlang ueber mehrere Paesse, so dass es ein ausgewogenes Spiel aus Bergetappen und Hochgeschwindigkeitsabfahrten wurde. Der Verkehr hielt sich sehr in Grenzen, so dass es abschnittsweise richtig idyllisch war. Der Fluss hatte so klares Wasser und die Sonne heizte uns so auf, dass wir einfach im Fluss baden gingen.

In Missoula, Montana legten wir wieder ein paar Tage Pause ein, denn es ergab sich fuer uns ein neues Program. In Missoula ist der Hauptsitz der "Adventure Cycling Association". Diese Radorganisation entwirft Fernradwege mit Karten und versucht Menschen zum Radfahren zu bewegen. Da wir nun seit Quito eine fertige Fotoshow mit uns fuehren, dachten wir, wir koennen ueber diese Organisation vielleicht unsere Fotos noch einmal zeigen. Und "ACA" war tatsaechlich interessiert und organisierte fuer uns die Werbung und stellte Raum und Technik zur Verfuegung. So hatten wir einmal mehr eine erfolgreiche Fotoshow. Es macht unglaublich Spass, unsere Erlebnisse mit anderen Interessierten zu teilen.  
Darueber hinaus liessen wir das Rad mal wieder stehen und begabe uns in ein ganz neues Milieu. Julie, unsere Gastgeberin hatte einen Kajakausflug geplant und wir waren eingeladen mitzukommen. Da wir schon immer wieder auf der Tour ueber Paddeln nachgedacht haben und ueberlegt hatten, wie und wo wir das am besten machen koennten, schlugen wir dieses Angebot nicht ab und organisierten und ein Boot. Wir entschieden uns jedoch fuer ein Kanu. Wie packten alles aufs Auto und fuhren mit Freunden zum Blackfoot River, den wir etwa 15 km runterpaddeln wollten. Es hiess, dass es zwei Stromschnellen gibt, bei denen man etwas aufpassen muss, aber sonst sei er nicht schwer zu befahren. Da wir auf etwas Erfahrung mit dem Kanu auf Fluessen in Schweden zurueckblicken und Tobias noch mehr Kanuerfahrung hat, blickten wir mit Vorfreude auf die Stromschnellen. Es funktionierte auch alles ganz gut, wenn auch die Stroemung zu Beginn recht stark war und wir nur mit Glueck um den ersten Stein herummanoevrieren konnten. Es waren einige Stellen, wo das Paddeln und Manoevrieren ganz gut Arbeit waren und ich konnte schon nach kurzer Zeit meinen Musklekater in den Armen erahnen.
Und dann kam die erste Stromschnelle. der Fluss verengte sich, so dass das Wasser tief wurde und ueber die Steine wirbelte. Es gab im Grunde nur einen Weg durch die Mitte und wir paddelten was das Zeug hielt. Wir bekamen eine Wasserwelle nach der anderen ab und hatten somit eine Menge Wasser im Boot. Und ploeztlich waren wir auf der Spitze einer Welle und das Boot drohte zu kippen. Wir schafften es, es wieder in Waage zu bringen bis zur naechtsen Welle. Es schaukelte, es spritzte, ich wusste nicht, wo wir waren, ich versuchte nur zu paddeln. Und dann packte uns die naechste Welle, die dann staerker war als wir und wir kippten einfach mit dem Boot um. Ich bin noch nie gekentert und es war etwas schockig. Das Wasser war kalt, ich hatte das Paddel fest in der einen Hand und wollte das umgedrehte Boot mit der anderen greifen, als ich ploetzlich unerwartet unter Wasser gedrueckt wurde. Fuer einen Moment ueberkam mich etwas Angst, aber im selben Moment tauchte ich wieder auf und sah nur meinen Schlappen dahin schwimmen. War natuerlich nicht die schlauste Idee, Schlappen zu tragen. Aber ich konnte ihn einfangen und dann fischte mich Julie auf und paddelte mit ihrem Boot ans Ufer. Tobias hatte das Boot und wurde von Ron aufgegablet. Alles passierte so schnell, und so erschreckend es zunaechst auch war, so schnell musste ich darueber lachen und konnte mich ueber diese Erfahrung freuen, denn nun weiss ich auch, wie es ist, wenn man kentert. Tobias war zunaechst etwas enttaeuscht, dass wir es nicht geschafft haben, durch die Stromschnellen zu fahren, aber auch das legte sich schnell. Wir leerten das Boot und suchten uns ein sonniges Plaetzchen, um zu trocknen und den Schreck zu verdauen.
Das Weiterfahren war dann sehr stark von Adrenalinstoessen gepraegt, denn wir mussten erstmal wieder unser Selbstbewusstsein zurueckerpaddeln. Denn der schwierigere Abschnitt war noch nicht ganz vorbei. Und so setzen wir das Boot leider einmal frontal vor einen Stein, weil wir die Kurve nicht gekriegt haben. Tobias ist dabei von seinem Sitz gegen die Querleiste vor ihm gestossen. Die Leiste hat diesen Stoss nicht ueberlebt, aber dafuer Tobias Schienbein. Er hat noch heute ein Ueberbleibsel davon.
Die letzten Stromstellen meisterten wir dafuer um so besser. Dies war dann auch ganz wichtig fuer unser Ego. Einmal kentern, einmal vor den Stein fahren, das war genug. Trotz allem hatten wir viel Spass und sind nun um einige Paddelerfahrungen reifer.

Als wir dann wieder auf unseren Raedern sassen spuerten wir doch schnell, wo wir wirklich hingehoeren. Unser naechstes Ziel war nun der Yellowstone Nationalpark. Auf dem Weg dorthin kamen wir durch einen Ort namens Ennis. Wir hoerten, dass dort ein Fly Fishing Festival ist und einiges in der Stadt los sein wuerde. Wir dachten uns also, wir sollten einfach mal einen Campingplatz beziehen und uns dann auf dem Festival amuesieren. Leider hatte der Campingplatz geschloessen. Es war niemand anzutreffen und einfach das Zelt aufbauen ist natuerlich nicht unsere Manier. Also ueberlegten wir, was wir tun sollten und Donnie zog seine Isomatte hervor, und schrieb "warm shower, tent site, please" darauf, womit wir ueber den Festplatz fahren wollten. Es fuehlte sich so an, als haetten wir schon ein paar Bier getrunken, denn alles war fuer uns unglaublich lustig. Als wir dann am Festplatz ankamen geschah mal wieder verwunderliches. Kaum erreichten wir den Platz, wurden wir von einem Mann herbeigewunken. Wir hatten nicht mal die Raeder abgestellt, geschweigedenn unser lustiges Schild herausgeholt, da wurden wir gefragt, ob wir einen Platz zum uebernachten braeuchten. Und so lud er uns ein, im Gemeindehaus der Kirche zu schlafen. Er erklaerte uns, wo es ist und meinte, es sei nie abgeschlossen, es gaebe eine Kueche, warm Wasser und wir koennten uns drinnen ausbreiten oder draussen auf der Wiese das Zelt aufschlagen. Wir waren mal wieder sprachlos. Sofoert mussten wir daran denken, wie wir im Iran in einer Moschee uebernachteten. Das Gemeindehaus war direkt an die kleine Kirche angschlossen. Wir hatten somit auch Zugang in die Kirche selbst. Es war ueberwaeltigend. Das grosse runde Kirchenfenster ueber dem Eingang wurde von der Abendsonne hell erleuchtet und liess die Stimmung in der kleinen Kirche unwirklich erscheinen. 
Wieder wurden wir geleitet und fanden einen sicheren Platz zum naechtigen. Nach dem Einrichten, Essen und Waschen, zogen wir noch einmal los, um etwas Musik zu hoeren und ein Bierchen zu trinken. Und so landeten wir in einem klassischen Saloon, wo alle mit Cowboyhueten, Jeans und Cowboystiefeln gekleidet waren. Ein Countrysaenger machte etwas Stimmung und wir tranken nicht nur ein Bier. Das war nun der wilde Westen!

Yellowstone, Wyoming erreichten wir ein paar Tage spaeter. Als aeltester Nationalpark der Welt (1872) ist er fuer seine geothermischen Quellen wie Geysire und Grosssaeuger, wie Bison, Wolf, Grizzlybaer und Elch bekannt. Von vielen Leuten hoerten wir schon, was man alles wo sehen koennte, aber wilde Tiere lassen sich eben nicht wie Tiere im Zoo beobachten. Wir fuhren mit keinerlei Erwartung in den Park, jedoch mit der Hoffnung, einige Tiere sehen zu koennen. Und wir wurden nicht enttaeuscht. Wir sahen keinen Wolf und keinen Baer, aber dafuer Bueffel. Ein Bueffel stand ganz dicht am Radweg, vielleicht 10 m entfernt. Er kaute seelenruhig vor sich hin. Wir beobachteten ihn eine ganze Weile aus sicherer aber naher Entfernung. Da er sich nicht ruehrte, entschlossen wir uns, einfach an ihm vorbei zu fahren. Tobias fuhr erst und ich hielt es auf Kamera fest. Er bewegte sich nicht. Dann war ich an der Reihe. Mein Pulsschlag erhoehte sich von Null auf Hundert in einer Sekunde. Wir blickten uns in die Augen, waehrend er ruhig weiterkaute. Ich versuchte so ruhig aber so zuegig wie moeglich vorbeizufahren. Keine Ahnung, ob dies fahrlaessig war, aber es war genial. Wenn man sich vorstellt, dass diese Tiere einmal die Praerie dominierten und die Herden so gross waren, dass man aus der Ferne schwarze Teppiche in der Landschaft sehen konnte, ist es doch verdammt traurig. Aber immerhin koennen sie heute wieder im Natuionalpark ungestoert leben.
Nachdem wir Yellowstone durchquert hatten und auch den sich anschliessenden Grand Teton Nationalpark durchfuhren, der durch eine schoene etwas alpenaehnliche Bergkette gekennzeichnet ist, trafen wir auf Bob, ein aelterer Mann in seinen 80ern, der uns in seinem Garten zelten liess. Er war unglaublich gut drauf und erzaehlte uns viele Geschichten. Er ist Countryfan und hatte frueher eine Band. er spielte sogar einen Johnny Cash Song fuer uns. Er erzaehlte uns auch von Indianern und wie er frueher bei dem traditionellen Pow-Wow mittanzte. Pow-Wow sind Indianertreffen, wo die indianischen Kulturen geehrt werden, getanzt und gesungen wird. Am naechsten morgen zeigte er uns sein Kostuem voller Federschmuck und sein kleines Museum, was er angelegt hatte, wo er Friedenspfeifen, Kleidung und alles ueber Indianer sammelte.
Uns wurde wieder bewusst, was dies doch fuer eine traurige Geschichte ist. Bob meinte, dass es wohl keine Indianer mehr gibt, die irgendwo in ihren Tipis leben. Es gibt heute die Inianerreservate, wo man ihnen Land "zurueckgegeben" hat, wo sie Landwirtschaft betreiben koennen, oder sie bauen Casinos und verfallen dem Alkohol. Es erinnert sehr an die Aborigines in Australien. Ueberall auf der Erde sind die indigenen Voelker zerbrochen, hat der weisse Mann sie zerstoert und ihnen genommen, was zuvor allen gemeinsam gehoerte und nachhaltig genutzt wurde.

Nun sind wir an der Grenze zu Nebraska und haben die Berge hinter uns und sind wieder alleine. Hier trennen sich nun unsere Wege von Donnie und Taylor. Wir stehen vor den Great Plains, der Flachebene der USA. Wir hoffen, dass der Wind gut mitspielen wird und uns kraeftig schiebt.
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